Sonntag, 20. Januar 2013

Rolling Stone Weekender 2012

16. und 17. November 2012 Weißenhäuser Strand
Allzu groß waren die Erwartungen nicht, als wir am Freitagnachmittag aus entfernten Teilen Deutschlands mit dem Zug in Oldenburg i.H. ankamen. Nachdem wir auch nach unserer zweiten Teilnahme am Indoor-Comfort-Festival im letzten Jahr vom Konzept der Veranstaltung durchaus überzeugt waren und die Bandauswahl in vielerlei Hinsicht unsere Geschmäcker getroffen hatte, hatten wir für dieses Jahr bereits gebucht, bevor überhaupt die erste Bandbestätigung bekanntgegeben war. Als dann die knapp 25 Bands feststanden, mussten wir feststellen, dass uns die wenigsten etwas sagten und die paar, die wir tatsächlich kannten auch beim besten Willen keine Begeisterungsstürme hervorriefen. Nun gut, wenn man am wenigstens erwartet wird es meist am besten. Als dann schließlich klar war, wer, wann und wo auftreten würde, hörten wir uns durch diverse YouTube-Videos und legten einen Plan fest, der vor allem die völlig unbekannten Acts in den kleineren, intimeren Vernues einschloss und die Möglichkeit zwischendurch immer mal wieder im Zelt vorbeizuschauen, falls die sogenannten Headliner doch wider Erwarten zu überzeugen wissen sollten!
Ewert And The Two Dragons
So fingen wir dann fast pünktlich gegen halb 6 mit den Tindersticks auf der großen Zeltbühne an, um recht schnell festzustellen, dass die Musik vor allem um diese Tageszeit und als Einstieg in das musikalische Wochenende für uns einfach nicht funktionierte. Die Qual der Wahl traf uns bereits für Konzert Nummer 2, die amerikanischen Polica oder Ewert And The Two Dragons aus Estland. Letztere sollten im kleinsten Venue, einem leergeräumten Pub spielen, in den vielleicht 150 Menschen passen, höchstens 5 auf die Bühne und das ganze einen äußerst privaten Charakter bekommt. Da wir uns eigentlich nicht entscheiden konnten siegte die intimere Bühne. Ewert uns seine Dachen sind alle blond. Estland liegt halt irgendwie doch nicht so weit weg von Skandinavien. Und der Sänger trägt verschiedenfarbige Socken.  

We Invented Paris
Der Zeltabstecher zwischendurch galt Kettcar, die es live einfach nicht schaffen, mich mitzunehmen, dabei sind ihre Lieder gar nicht so übel. Also weiter zur zweitkleinsten Bühne. Die ist für die Schweizer We Invented Paris vorgesehen. Die hatten wir tatsächlich beide in diesem Jahr schon mal erwischt und festgestellt, dass die Jungs wirklich etwas auf dem Kasten haben. Das Venue ist nicht ganz so glücklich wie das Rondell, da es teilbestuhlt ist und über einige Säulen und Nischen verfügt, die die Sicht recht stark beeinträchtigen können. Der Sänger und auch wir nahmen’s mit Humor: "Ich glaube, das ist das erste Steh-Sitz-Konzert auf dem wir spielen." Auch das Fehlen des Keyboarders fiel kaum auf. Schließlich hatte man ihn im Laptop mitgebracht. Besonders hübsch war der kleine Unplugged-Ausflug durch die Sitzreihen durch, um das Fastacapellastück …. lediglich begleitet von einem harmoniumartigen indischen Instrument zum Besten zu geben. Zum Abschluss wurde aus dem Teilsitzkonzert sogar noch ein getanztes Stehkonzert, denn beim letzten Stück …. hielt es nahezu niemanden mehr auf den Stühlen. Für den nächsten Slot hatten wir uns auch wieder nur sehr kurz eingehört und dann Spiritualized ausgewählt. Sehr spacig, viel, viel Nebel auf der Bühne und ein ziemlich spannender Sound. Abgesehen von dem Nebel wurde uns der Blick allerdings vom überwiegend sehr großen männlichen Publikum versperrt. Der Genussfaktor ließ zu wünschen übrig und so fanden wir und völlig ungeplant ganz pünktlich zu Tocotronic, dem Schlussact des ersten Abends ein. Irgendwie dachte ich Vorfeld, dass sich deren Sound schon etwas überholt hätte, aber es gibt doch nach wie vor eine ganze Menge glühender Verehrer der Hamburger. Und tatsächlich muss ich sagen: live funktionierten sie auch für mich, schön gitarrenlastig, der Gesang nicht ganz so stark im Vordergrund. Sie werden vermutlich keine Lieblingsband werden. Aber wer weiß, vielleicht kriegen sie live ja sogar irgendwann noch mal eine Chance. Ich bin allerdings nicht ganz sicher, wie viel meiner guten Laune auch dem ordentlichen Bierkonsum und weiteren Aufputschmitteln eines österreichischen Brausegetränkeherstellers zuzuschreiben waren.
Tocotronic
Das Charmante am RS Weekender ist ja, dass man in sein warmes Bettchen gleich mitbucht, dorthin laufen oder wanken kann, am nächsten Morgen auch noch ein Frühstück bekommt und den Tag mit der Pflege des Hangovers verbringen kann, indem man einen langen Strandspaziergang macht, um Ostseeluft zu schnuppern oder ein bisschen in einem der Schwimmbäder plantschen geht.

 
Frisch erholt wurde dann der zweite Abend geplant. Auch an diesem Tag wurden Entscheidungen zu Gunsten des kleinen Rondells getroffen. Nicht ganz pünktlich war es bei den bezaubernden Blind Pilot aus Portland, Oregon schon ganz schön voll, wieder der Saal mit den großen Männern und der schlechten Sicht.
Blind Pilot
Rechtzeitig schafften wir es dafür zu den Engländern To Kill A King. Die Kostproben hatten vielversprechend geklungen und es sollte irgendwie das Konzert des Abends werden. Zu fünft passten die Mitzwanziger eigentlich kaum auf die Bühne: 2 Gitarren, Keyboards, Drums und Bass. Gitarrist Ian hüpfte gekonnt zwischen seinen Mitspielern hin und her und das ganze strümpfig. Das Mac-Book wackelte gewaltig und man hatte immer mal wieder das Gefühl, dass nur ein mutiger Griff auf die Bühne eine kleine Katastrophe verhindern könne. Der Keyboarder konnte uns aber am Schluss beruhigen. Es sei noch nie runtergefallen und er zeigte uns seine Sicherheitskonstruktion, die eventuelle Unglücke wohl tatsächlich verhindert. Verzeihlich und sehr charmant, dass der Schlussakkord eines Stückes verrutschte, weil der Griff zum Computer fehlschlug: „ Wir sind es eigentlich gar nicht gewöhnt mit so viel elektronischem Schnickschnack ausgestattet zu sein. Schließlich fand bisher eine Vielzahl der Konzerte in Wohnzimmern statt.“ Sänger Ralph Pelleymounter hatte dies kaum ausgesprochen, als die Jungs schon wie ein Knabenchor am Bühnenrand standen und eine wunderschöne Kostprobe Ihrer Wohnzimmerfähigkeiten präsentierten. Das Publikum war völlig begeistert und der Applaus war nach meinem Eindruck bei keinem Konzert so überschwänglich. Schön, das allererste Deutschlandkonzert dieser vielversprechenden Engländer erlebt haben zu dürfen. So konnten Sie sich am Schluss auch kaum vor Autogrammwünschen, Nachfragen nach einer noch nicht mal vorhandenen Setlist und vielen verkauften EPs retten.
To Kill A King
Dummerweise hatten wir es vor lauter Wellnessprogramm und dem späten Frühstück versäumt vor Beginn der Konzerte noch etwas zu essen und mussten daher das Rondell dringend vor dem Eintreten eines schlimmen Zuckerschocks verlassen, um wenigstens eine Bratwurst zu uns zu nehmen. Man hat auf dem Weekender im Grunde nur die Wahl zwischen Musik mit Snack oder ein halbwegs vernünftiges Essen ohne Musik. Getreu dem Motto zwei Bier sind auch ein Schnitzel gab es außer Frühstück und Bratwurst nur noch ein paar superleckere Fischbrötchen und Kinderschokolade innerhalb der knapp 48 Stunden. Wir versuchten danach auch erst gar nicht wieder zurück ins Rondell zu kommen. Here We Go Magic mussten ohne uns auskommen. Im großen Zelt hüpfte ein einsamer Kerl über die Bühne und checkte den Sound. Wir setzten uns mal ein bisschen, Kräfte sparen für den langen Abend. Teitur, Singer/Songwriter von den Färörer Inseln hatte die ganze große Bühne für sich und kam sich mit Sicherheit vollkommen verloren vor. Es hörte sich nicht mal richtig schlecht an, aber das funktionierte noch weniger als die Tindersticks vor 22 Uhr.
 
Father John Misty
Dann stellten wir uns eben wieder für das Rondell an, das aufgrund der Minigröße nach jedem Auftritt mehr oder weniger vollständig geräumt wurde, um überhaupt einen Auf- und Abbau zu ermöglichen. Bisschen frisch war es und die Arbeiten im Inneren verzögerten sich erheblich: Father John Misty aka Josh Tillman, ehemaliger Drummer der Fleet Foxes lässt sich bitten. Jedenfalls schien irgendetwas nicht zu klappen und wir fröstelten vor verschlossenen Türen. Plötzlich erklang mitten aus der Menschentraube eine Akustikgitarre und irgendjemand gab zwei Lieder zum Besten. Es war tatsächlich Josh Tillman höchst persönlich, auch wenn wir ihn nicht wirklich gesehen haben. Als wir dann endlich im Warmen standen betrat ein übelst gelaunter Sänger im Indianermantel über Straßenanzug auf die Bühne: „Welcome to dude fest! All I see is men around!“ Nicht ganz richtig, aber fast. Josh grummelte zwischen den Lieder noch reichlich vor sich hin, was amüsant und erschreckend zugleich war. Dazwischen sang er wunderbare Folk- und Rocksongs und tanzte dazu, auf seine ganz eigene Weise, die irgendwie unmännlich und irgendwie doch sexy aussieht. Nachdem jeder Zwischenrufer recht schnöde runtergeputzt worden war, traute sich kein Mensch im Publikum auch nur einen Piep zu sagen, was auch schon wieder lustig was. Irgendwie besserte sich auch die Stimmung des Sängers von Lied zu Lied mehr und mit außerhalb des strengen Zeitprotokolls liegenden Zugabe waren schlussendlich Künstler und Zuschauer wieder vollkommen versöhnt und schmunzelten über das vermutlich unterhaltsamste Konzert des Wochenendes.
aka Josh Tillman

Admiral Fallow
Als nächstes ging es nochmal in den Baltic Festsaal, um die schottische Folkband Admiral Fallow zu sehen und zu hören. Bedauerlicherweise gab es mit dem Hören ein paar Probleme, denn der Geräuschpegel im hinteren Bereich des Saals und rund um die Bar war enorm, so enorm, dass es teilweise richtig nervig wurde, vor allem bei den ruhigeren Liedern und in den etwas zu lang geratenen Pausen zwischen den Stücken. Ob dieses Phänomen irgendwie doch mit der eigentlich richtig tollen Band zu tun hat? Ähnliches hatte ich über das winzige und leider verpasste Stuttgartkonzert ein paar Tage zuvor auch schon gelesen.
Etwas früher als geplant begaben wir uns zum Finale mit Calexico ins Zelt und wurden noch ein letztes Mal an diesem Wochenende schwer beeindruckt. Im Vorfeld waren wir nämlich nicht restlos begeistert gewesen: klingt ja schon gut, aber vermutlich doch etwas zu langweilig und zu viel Mariachi! Schon, aber es funktioniert live hervorragend und macht unglaublich viel Spaß dem Feuer dieser Band zuzuhören!
Calexico


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